DIGA-Zwischenfazit: Denkt auch an die Gatekeeper!

Als das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) vor gut zwei Jahren in Kraft trat, lagen viele Hoffnungen auf den Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Doch die Praxis zeigt: Selbst wenn die bürokratischen Hürden überwunden wurden, fällt am Ende die “Abstimmung mit dem Rezeptblock” häufig gegen DiGA aus – ein Auftrag an die Branche, ihre Ansprache mehr an die Bedürfnisse verschreibender Ärzte anzupassen.

Es ist nichts neues, dass das E-Health-Ökosystem häufig eher unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung fliegt. Gesundheitsthemen sind tendenziell Verbraucherthemen, noch dazu eher für eine Zielgruppe, deren Interesse an der Digitalisierung einem zarten Pflänzchen gleicht, das erst am Anfang seines Wachstums steht. Und selbst wenn es digitale Gesundheitsanwendungen in den öffentlichen Fokus schaffen, heißt das noch lange nicht, dass der Kontext ein positiver sein muss: Die in jüngerer Vergangenheit größte Aufmerksamkeit brachte eine Sendung des “ZDF Magazin Royale”, in dem Jan Böhmermann sich des Mangels von Psychotherapieplätzen annahm und diesen unmittelbar mit den DiGAs verknüpfte. Der Tenor damals: “Du willst reden und findest keinen Therapieplatz? Dann mach doch ne Gesprächstherapie beim Bot!”.

Das Beispiel zeigt: Wenn öffentlich über DiGAs berichtet wird, dann oft mit dem Vorwurf verbunden, lediglich den Mangel verwalten zu wollen – oder, noch schlimmer, als Hinhaltetaktik existierende Probleme im Gesundheitswesen mit der Pauschalantwort “Innovation” beiseite zu wischen (beliebt v.a. in Debatten zum Klimawandel). Doch DiGAs sind alles andere als die “Flugtaxis” der Medizinbranche. Und die Branche ist dringend gefordert, diesem Eindruck früh entgegenzutreten. Gute Argumente, sind – auch wegen des strengen Zulassungsprozesses von DiGAs – eigentlich zuhauf vorhanden.

Der messbare Mehrwert gehört bei DIGAS zum Zulassungsprozess: Warum kommunizieren wir ihn dann nicht besser?

Neben dem medizinischen Mehrwert schaffen DiGAs ihre Zulassung auch wegen des Kriteriums der „prozedural und strukturell positiven Versorgungseffekte“. Ein solcher liegt zum Beispiel vor, wenn Patienten einen leichteren Zugang zur Versorgung erhalten, aber auch, wenn eine App die Gesundheitskompetenz insgesamt fördert und der medizinische Entscheidungsprozess unterstützt wird. DiGAs bringen gegenüber Innovationen aus nicht-medizinischen Branchen den Vorteil mit, dass sie schon von einer unabhängigen Stelle – nämlich dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Herz und Nieren geprüft wurden. Und als Begleiter zahlreicher DiGA-Projekte können wir als Digital-Medizinisches Anwendungs-Centrum (dmac) bestätigen, dass diese Prüfung kein Spaziergang ist. Gegenüber 30 Anwendungen, die es ins Verzeichnis geschafft haben, wurden acht negativ beschieden und über 60 Hersteller zogen ihre Bewerbung mitunter wegen der strengen Regularien zurück.

Die strenge Zulassungspraxis bereitet zwar vielen Anbietern schlaflose Nächte, sie sollte aber auch als Gütesiegel gesehen werden: Bei DiGAs handelt es sich um seriöse Medizinprodukte, die gegenüber anderen Therapieformen absolut gleichgestellt sind und deren Hersteller darum auch selbstbewusst auftreten sollten.

Apps bieten niederschwellige Therapieansätze

Tatsächlich zeigt die Praxis der ersten beiden DiGA-Jahre auch, dass bei weitem nicht nur Apps aus den Bereichen Selfcare und Psychotherapie verschrieben werden. Als Spitzenreiter unter den verschriebenen DiGAs gelten aktuell die Tinnitus-App Kalmeda, das Anti-Rückenschmerz-Training Vivira oder die Adipositas-Therapie Zanadio. Allein diese drei DiGAs wurden im ersten Jahr nach Inkrafttreten des DVG zusammen über 25.000 mal verschrieben – nicht weil sie eine Versorgungslücke schließen, sondern weil sie gegenüber konventionellen Therapien einen nachweisbaren Zusatznutzen bringen – sei es, um die Verhaltenstherapie gegen Tinnitus in den Alltag zu integrieren, ein detailliert ausgearbeitetes Repertoire an Übungen gegen Rückenschmerzen auf dem Handy zu haben, oder eine Abnehm-App, die die langfristige Ernährungsumstellung kurzfristigen Diäterfolgen vorzieht und die Motivation über Monate aufrechterhält. Die niederschwelligen Therapieansätze von DiGAs sind wie die Smartphones der Patienten Teil ihres Alltags und sind dadurch per Definition “näher dran” als es ein Arzt je sein könnte.

Natürlich sollten DiGAs niemals eine Generalantwort auf Probleme der gesundheitlichen Versorgung sein – genauso wenig sollte das Potenzial digitaler Gesundheitsanwendungen aber im Versorgungsalltag ungenutzt bleiben.

Und vor allem hier standen DiGAs, die die hohen Hürden der Zulassung genommen hatten, in den ersten Jahren vor dem nächsten, noch größeren Hindernis: Der “Abstimmung mit dem Rezeptblock” durch die verschreibenden Ärzte. Denn laut einer breit angelegten Erhebung der Stiftung Gesundheit zu DiGAs zweifelt knapp die Hälfte der Ärzte offen an der Wirksamkeit der Anwendungen, die es ins DiGA-Verzeichnis geschafft haben. Sie sehen allein dadurch schon von einer Verschreibung ab. Darüber hinaus bestehen langjährig gewachsene Beziehungen und Vertrauensverhältnisse zwischen Arzt und Patient. Ärzte wissen oft sehr genau um die individuelle Lebenssituation und Motivation und sehen deswegen keinen Grund, von der bisherigen Verschreibungspraxis abzuweichen.

Das ist für Technologie- wie Leistungsanbieter eine harte Nuss, die nicht auf einen Ruck geknackt werden kann. Hier sind die Leistungsanbieter konkret gefragt, ihre Apps besser und transparenter zu erklären und Vertrauen zu schaffen. Das zeigt auch die größte Angst, die die Mediziner gegenüber DiGAs äußern: Trotz DSGVO und aufwendiger Zulassung sind Datenschutzbedenken das deutlich größte Hemmnis. Über 70 % nennen diesen Faktor als Hauptgrund gegen eine Verschreibung.

Die Befragung zeigt aber auch: Sobald Ärzte die Möglichkeit haben, sich einmal mit DiGAs auseinanderzusetzen, steigt die Weiterempfehlungsrate enorm. DiGA-Hersteller können also auf einen kontinuierlich steigenden Gewöhnungseffekt hoffen, sollten aber auch aktiv Maßnahmen ergreifen, um diesen zu fördern.

Der Schlüssel hierfür liegt in den Anwendungen selbst. Es ist wichtig, nicht einfach zu warten, bis Ärzte die Chance hatten, ihre App von selbst kennenzulernen, sondern in Maßnahmen zu investieren, die die konkrete Nutzung in den Vordergrund stellen: Dazu gehören Testzugänge, Walkthroughs, Tutorials, aber auch ein Support, in dem echte Menschen arbeiten. Diese und weitere Maßnahmen helfen dabei, das Selbstinformationsbedürfnis von Ärzten als “Gatekeeper” zu befriedigen. Äußerungen von Ärztevertretern in den ersten DiGA-Jahren lassen darauf schließen, dass beim Marketing noch Luft nach oben ist. Mit Ausnahme einiger Social-Media-Spots und Informationsflyer kamen Ärzte kaum mit dem Thema in Berührung, wie das Handelsblatt im vergangenen Jahr konstatierte.

Aus der Erfahrung, die wir als dmac in den Projekten der letzten Jahre gemacht haben, können wir betonen, wie wichtig die frühzeitige Kommunikation mit den verschiedenen Stakeholdern ist. DiGAs sind patientenzentrierte Lösungen – digitale Helfer in der Hand der Patienten. Sie sollen den Patienten nutzen und deren Gesundheitsversorgung verbessern. Hersteller dürfen aber nicht vergessen, dass nicht nur Patienten den Nutzen von DiGAs erkennen müssen, sondern auch Gatekeeper wie Ärzte, die DiGAs verschreiben oder Versicherungen, die sie alternativ auf Anfrage des Versicherten ohne ärztliches Rezept bewilligen können. Beide Akteure müssen überzeugt sein, dass den Kosten einer DiGA ein entsprechender Nutzen gegenüber steht. Diesen Nutzen gilt es zu kommunizieren. Dabei schadet es nicht, hin und wieder auch ein bisschen “Medizinerdeutsch” zu sprechen.

Den kompletten Artikel finden Sie in der aktuellen Ausgabe der EHEALTHCOM

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